Künstler im Reich der fotografischen Bilder

Martin Rosner gehört zu den bedeutendsten Fotografen der Region.
Am meisten faszinieren ihn die Themen Raum und Räumlichkeit.
Im Herbst veranstaltet er ein Foto-Symposion im Leeren Beutel.

Martin Rosner zitiert Karl Valentin: „Kunst ist schön, macht aber Arbeit.“ Rosner wartet nicht geduldig, bis sich etwas ereignet, er wird selbst aktiv und interveniert. Er wendet sich gegen die Schnappschuss-Ästhetiker, die Henri Cartier-Bresson für ihr großes Vorbild halten. Rosner: „Ich bin nicht einer, der den richtigen Augenblick mystifiziert.“ Für ihn ist ein Foto nicht die mehr oder minder mechanische Abbildung einer vorgegebenen Wirklichkeit. Es geht auch nicht um die Geistesgegenwart, mit der man eine Szene, die nur kurz aufblitzt, für die Ewigkeit festhält. Entscheidend ist die „konstruktive Anstrengung“. Erst dadurch bekommt man zu sehen, was es ohne die Anstrengung des Foto-Künstlers nicht gäbe.

Dokumentiert denn Rosner nicht? Doch, aber eben anders. Ihn faszinieren die Themen Raum und Räumlichkeit. Er hat sich in ganzen Serien Stadt-Räumen, Innen-Räumen, Nacht-Räumen, Land-Formen gewidmet. In gewisser Weise versteht er sich durchaus als „Chronist“ der Stadt Regensburg und ihrer Umgebung. Wer seine Bilder intensiv betrachtet, stellt fest, dass sich ihre Inhalte nur schwer festschreiben lassen. Sie changieren ständig zwischen „Heimatverbundenheit“ und einer „bewussten Nichtidentifizierbarkeit der Orte“. Das Eigene und Vertraute wird auf eine unheimliche Weise anonym. Letzten Endes verweist, was er zeigt, nicht auf eine äußere Realität. Es kommuniziert vielmehr mit den Bildern tief in uns, die durchtränkt sind mit all unseren Erfahrungen, Lüsten und Ängsten.

Martin Rosner, Jahrgang 1965, verbrachte seine Kindheit und Jugend in Kumpfmühl. „Meine Eltern führten einen Edeka-Laden. Das hat mich geprägt. Der Hinterhof, wo ich ganze Tage spielend verbrachte, stand voller Container. Er war ein einziges Warenlager. Es gab viel zu sehen und zu begreifen. Im Wortsinn“, sagt er. Manchmal half er später im Geschäft aus. Dann saß er an der Kasse und konnte die Gesichter der Kunden studieren. Im Altdorfer-Gymnasium in der Nähe des Ostentors ging er zur Schule. Im zarten Teenager mit den langen Haaren verbarg sich auch ein wilder, harter Kerl. Der hörte mit Vorliebe Heavy Metal – alles von Slayer bis Anthrax – und gründete selbst eine Band: „D’Artagnan“. Das Motto kennt man: „Einer für alle. Alle für einen.“

Die Bundeswehr mied er. Lieber machte er Zivildienst. Der dauerte damals sehr lange: 20 Monate. Sein Arbeitgeber war die Diakonie, sein Metier die „individuelle Schwerstbehindertenbetreuung.“ Seine Klienten waren Tetraplegiker, die, im Unterschied zu „normalen“ Querschnittgelähmten, auch ihre Arme nicht bewegen konnten. Ein harter Job. Immer drei Tage nonstop, 24 Stunden auf Trab, Schlafen bei Gelegenheit.

Ein fester Job zur Sicherheit und Seminare an der Volkshochschule

Schon im Altdorfer hatte sich Rosner mehr für die reiche Welt der Bilder als für Texte interessiert. Nach dem Zivildienst wollte er Filmemacher werden. „Ja, mach nur einen Plan“, wie es bei Brecht heißt. Stattdessen studierte er von 1989 bis 1991 an der renommierten „Bayerischen Staatslehranstalt für Photographie“ in München. Die große Stadt verstörte ihn ein wenig: „Ich bin zerfallen in die Fülle der Eindrücke.“ Und dann, freier Künstler mit Diplom, der sich dem Sichtbaren nur nähert, um es zu übersteigen? Rosner: „Dafür war ich zu feige. Es brauchte einen Umweg.“ Der führte ihn an die Uni Regensburg, wo er ab 1991 für zehn Jahre die Abteilung für Fotodokumentation und Computergrafik an der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde leitete. Damals gab es unter den Professoren noch ein geflügeltes Wort: „Ein nicht gezeichneter Augenhintergrund ist ein nicht gesehener.“ Jetzt, seit Martin Rosner da war, konnten sie den Stift beiseitelegen. Er produzierte mit seinen feineren Mitteln die Bilder, die sie für ihre Arbeit brauchten.

Aber das Interesse an der Kunst konnte diese Kärrnerarbeit im Dienst der Wissenschaft und der Augengesundheit nicht zum Verschwinden bringen. Seit 1994 gab Rosner Seminare an der hiesigen Volkshochschule. Ziel war, neben der Vermittlung fotografischer Grundtechniken, „die persönliche Sehweise der Teilnehmer zu schulen und im gemeinsamen Dialog zu erarbeiten.“ Rosner fasst es so zusammen: „Eine Art ‚Schule des Sehens‘“ wollte er bieten.

Vieles von dem, was wir zu sehen meinen, wird erst hergestellt durch den Künstler bei seiner Arbeit am Foto-Bild, wie das Rosner ausdrücklich nennt, und durch den Betrachter, ohne dessen Kompetenzen das Bild blind bliebe. Weil er sich vor allem mit Räumen beschäftigt, die es nicht einfach „gibt“, steht Rosner manchmal vor einem akuten Problem. Das fängt bei der Schwierigkeit an, Räumliches in der Fläche darzustellen, beschränkt sich aber nicht darauf. Was ein Raum ist, das gehört zu den ältesten Fragen der Philosophie und der Physik – und die wichtigsten Theoretiker der letzten zwei, drei Jahrtausende haben darauf sehr unterschiedliche Antworten gegeben. Für Kant etwa ist der Raum eine „Anschauungsform“. Das, wie es bei ihm heißt, „transzendentale“ Subjekt braucht ihn als Voraussetzung dafür, dass es überhaupt so etwas wie Erfahrung geben kann. Raum ist keine Eigenschaft der wirklichen Welt, sondern eine Bedingung ihres Erscheinens. Bei Einstein ist der Raum zwar objektiv, aber nicht absolut. Wie genau er beschaffen ist, hängt von der Verteilung massereicher Körper in ihm ab. Er kann sich dehnen, stauchen, krümmen… Und fotografische Räume? Die sind zweifellos Artefakte. Man kann das bei Martin Rosner entdecken; vor allem, wenn die Räume (menschen)leer sind. Rosner spricht dann auch von „Wirklichkeitsspuren“.

Martin Rosner war von Anfang an nicht nur ein „Macher“. Er hat stets über das nachgedacht, was er tat. So gesehen ist das große Foto-Festival „Die Allgegenwärtigkeit fotografischer Bilder“ vom 26. bis zum 28. Oktober im Leeren Beutel in Regensburg eine Konsequenz seiner ganzen bisherigen Arbeit. Rosner wollte zwar immer Künstler sein – aber eben nicht nur. Genauso wichtig waren ihm Reflexion und Theorie – und auch das, was man bürgerschaftliches Engagement nennen könnte. Dazu gehört etwa, dass er ein Gründungsmitglied des „Geschichts- und Kulturvereins Regensburg-Kumpfmühl“ ist. Da geht es nicht nur um Traditionspflege, sondern auch um Geschichtsbewusstsein. Der Verein hat zum Beispiel eine Ausstellung mit historischen Fotoaufnahmen aus dem Nachlass des Stadt-Chronisten Karl Bauer realisiert.

Den internationalen Austausch mit Fotografen pflegt Rosner intensiv

Der lokale Bezug ist das eine – der internationale Austausch das andere. Für Rosner lässt sich das nicht trennen. 2009 leitete er im Rahmen der Städtepartnerschaft mit Aberdeen einen internationalen Fotografen-Austausch, fünf Jahre später dann im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres „Pilsen 2015“ das interkulturelle Foto-Projekt „Pilsen – der andere Blick“. Einen Höhepunkt stellt sicher das Foto-Symposion in diesem Herbst dar, mit Referenten aus Österreich, Schottland und Frankreich – und mit dem legendären Klaus Honnef, der einst die Abteilung Fotografie und Malerei der „Documenta 6“ kuratierte. Begleitend zum Symposion, initiiert und organisiert von Martin Rosner zusammen mit Andy Scholz, wird es im Leeren Beutel eine Ausstellungmit Foto-Künstlern aus aller Welt geben. Und eine Filmreihe, für die Rosner in jungen Jahren tätig war, mit dem Titel „Fotografische Bilder“. Es werden Arbeiten von Koryphäen wie Anton Corbijn, Jean Luc Godard und David Lynch gezeigt – und von Michelangelo Antonioni, der mit „Blow up“ vor mehr als fünfzig Jahren den definitiven Film über die(Schein-)Welt der Bilder produzierte. Die zentrale Lehre: Man sieht nicht unbedingt besser, wenn man näher herangeht. Im Akt der Vergrößerung – das bedeutet ja „blow up“ – beginnt die Realität sich aufzulösen und unsere Fantasie tritt an ihre Stelle.

Dr. Helmut Hein, Mittelbayerische Zeitung, Regensburg
Leere Räume künden von den Menschen
Regensburg wird zur Foto-Hochburg

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