Martin Rosner hält in seinem Projekt »15 • 20 • 19« Dürer und Altdorfer den fotografischen Spiegel von heute vor
Detailliertere historische Kenntnisse zu haben gilt dem selbstgewissen Heute nicht als sehr erstrebenswerte Eigenschaft. Aber es war nun mal vor genau 500 Jahren, als man 1519 die Juden aus Regensburg vertrieb. »Stadt und Gesellschaft« lautet aus diesem Anlass das offizielle kulturelle Jahresthema Regensburgs, das als Aufruf an die Kunstschaffenden erging.
Das interessante Fotoprojekt »15 · 20 · 19« von Martin Rosner untersucht nun an 18 Beispielen aus der Kunst der Um- und Aufbruchszeit um 1500 die damaligen Lebenswelten und Denkräume im Vergleich mit Heute. Und es animiert dazu, sich an der vormaligen Gegenwart zu relativieren und im einst Dagewesenen Perspektiven zu entdecken.
Das erste »Selfie«
Das Prinzip von Rosners Projekt: Einerseits präsentiert er berühmte Gemälde und Grafiken von Künstlern aus der Zeit um 1500 und zwar in der Form hervorragender Drucke in Originalgröße. Daneben hängt jeweils Rosners Entsprechung, dieselben Bildmotive, Bildinhalte und Kompositionen, die Rosner sehr sensibel, reflektiert und wunderbar lichtdurchflutet in die heutige Wirklichkeit übertragen hat. Man entdeckt Unterschiede im scheinbar Ähnlichen und das Gemeinsame im scheinbar Fremden.
Ein Beispiel ist das berühmte Selbstbildnis Dürers, auf dem er sich als Künstler inszeniert hat. Mit der Christus-Pose verweist dieses Porträt auf das Schöpferische der Kunst. Und mit seinem Finger zeigt Dürer auf sich selbst und sein malerisches Können. »Das erste Selfie – anmaßend, überheblich und ein bisschen protzig?«, überlegt Rosner. Daneben das Selbstbildnis des Foto-Künstlers Rosner: offiziell, in Anzug und Schlips, in der Hand ein i Phone, mit dem er auf sich deutet, mit dem er, als Fotokünstler, sich selbst darstellt und mit dem Bild auf sein künstlerisches Können verweist.
Rosner bleibt sich treu
Natürlich nicht unironisch, denn das Bild bezieht sich auch auf das Vorbild Dürer, gibt sich als auf den Schultern eines Riesen stehend zu erkennen. Aber im Unterschied zu Dürer leuchtet sich Rosner grell aus. Entgegen dem heute Üblichen retuschiert er selbstbewusst gerade nicht die Unebenheiten seiner Gesichtshaut, sondern bleibt sich treu.
Ein anderes Beispiel ist Albrecht Altdorfers »Donaulandschaft mit Schloss Wörth«, eines der frühesten Bilder, auf dem die Landschaft ein eigenständiges Motiv war. Rosner schaute sich den Schlossberg von Wörth an und sah, dass so wie Altdorfer die Topographie idealisierend inszeniert hat, sie nicht war. »War Altdorfer der erste Influencer?«, fragt er.
Ideal-Landschaft um Schloss Wörth
Aufwendig wie Altdorfer, so hat auch Rosner jetzt, nur eben mit digitalen Mitteln, sein Wörth-Bild aus verschiedenen Szenerien zusammengesetzt. So dass man wie bei Altdorfer nun auch bei Rosner eine Ideal-Landschaft sieht, deren Konstruiertheit man aber kaum wahrnimmt.
Oder eines der Luther-Bildnisse von Lucas Cranach d. Ä.: Luther benutzte, fast wie wir Heutigen es mit dem Internet als Massen-Einflussnahme-Medium tun, den Buchdruck, um seine Thesen schnell zu verbreiten, und die Bibel übersetzte er in die Volkssprache Deutsch. Rosner fotografierte Margot Käßmann in der Haltung des Cranach-Luther, als sie bei einer Lesereise ihr neues Buch vorstellte.
Ausstellung im DEZ
Altdorfer dokumentierte die Regensburger gotische Synagoge unmittelbar vor ihrer Zerstörung 1519 in einer Radierung. Daneben hängt das ebenfalls die Vertikalen betonende Foto Rosners vom modernen Innenraum der neuen Regensburger Synagoge. Aber was lag an Leid in der Zeit zwischen diesen beiden Bildern, Leid, das sich hier wie eine Kluft auftut und das man nicht wegdiskutieren kann. Doch dieses Leid ist auf den Bildern nicht zu sehen, auch wenn das Optische heute als das unverbrüchlichste, „wahrste“, als das Leit-Medium gilt, obwohl es das nicht ist. Jedes Sehen wird durch Kontexte bestimmt, durch Vorwissen, Vorurteile und Erwartungen.
Die Werke sind im Regensburger Donaueinkaufszentrum auf der großen Ausstellungsfläche bei der Sparkasse zu sehen.