Der Fotograf Martin Rosner hat sein Wohnquartier multimedial erkundet
Von Christian Muggenthaler
Nahezu jede Großstadt hat ihren Kiez: Jenes Viertel, das die eigentliche, engere Heimat ist, das Wohnquartier, in dem man zu Hause ist, seine Semmeln zum Frühstück holt und einen Ratsch raushaut mit der Nachbarin um die Ecke. Meistens sind das ehemalige umliegende Ortschaften, über die die Stadt hinweg gewachsen ist, die irgendwann eingemeindet worden sind und so ganz allmählich in Gebietskörper und Stadtbild einverleibt worden sind – trotzdem aber die Anmutung des Solitärs behalten haben, etwas ganz Eigenes, Unvergleichliches besitzen: den Charme des Zuhauseseins.
Auch Regensburg hat diese Kieze, Kumpfmühl beispielsweise. „Das Biedermeier liebte das anheimelnde Kumpfmühl mit seinen gemütlichen Biergärten, seiner Landluft und den weiterführenden Spaziergängen nach Prüll und Graß“, schrieb der Heimatforscher Karl Bauer in seinem Regensburg-Buch, wo er auch den Ortsnamen erklärt: Eine Mühle stand bis 1944 dort, die am Rad hölzerne Schüsseln zur Wasseraufnahme hatte, damals sogenannte Kumpfe. Dem im Jahr 2002 gestorbenen Bauer ist inzwischen genau in Kumpfmühl ein Park gewidmet worden, und genau dort ist neuerdings eine Ausstellung zu sehen: Der Fotograf Martin Rosner hat sein Viertel multimedial erkundet und stellt derzeit seine Erkundungen vor Ort und im Donaueinkaufszentrum aus.
„Kumpfmühl nah dran“ heißt das Projekt. Im Donaueinkaufszentrum zeigt sich beispielhaft, wie man so etwas macht. Da hängen Fotos mit Blicken aus dem Fenster, die das Immergleiche doch in immer wieder anderen Schattierungen von Wetter und Jahreszeiten zeigen: Das Viertel lebt und atmet. Da sind Porträts von Kumpfmühlern zu sehen und Ausschnitte aus Interviews mit diesen Frauen und Männern, Jungen und Alten. Da haben die Interviewten Fotos aus ihren persönlichen Archiven zur Verfügung gestellt. Da zeigen Farbfotos detaillierte Aspekte des Lebens im Quartier. Und da demonstrieren Schwarz-Weiß-Aufnahmen, wie artifiziell ein Fotokünstler auf seine Umgebung zu schauen vermag.
Im Karl-Bauer-Park, also vor Ort selbst, wird der Blick dann ein historischer. Es geht da, vermerkt der Fotograf selbst, nicht um ein „Vorher – Nachher“, sondern darum, wie Geschichte über die Topografie eines Orts hinwegfließt. Rosner stellt hier, aufgezogen auf große Banner, eigene Aufnahmen historischen Fotos von Christoph Lang entgegen, die der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gemacht hat. Da wird beispielsweise aus dem flachen Haus eines Malermeisters aus dem Jahr 1939 mit einer malerischen Bundesstraße mit Hinweisschild „Augsburg-Abensberg“ (die alte B 16) heutige beste Sparkassenlage.
Man sieht unter anderem: wie damals die Autos nur ganz selten waren, die heute jede Stadtansicht prägen. Und man sieht, wie furchtbare Zeiten über den Stadtteil hinweggestürmt sind: 1941 stehen vor der „Horst-Wessel-Schule“ gehirngewaschene Kinder, die allesamt den Hitlergruß zeigen. Heute dagegen: Kinder vor der St. Wolfgangschule in all ihrer Buntheit und Vielfalt. Die Erkundungen von Martin Rosner kommen dem Betrachter nahe, auch weil er die Ausstellung direkt in den Alltag der Leute verpflanzt. Und vielleicht bekommt man ja auch einen anderen Blick auf den eigenen Kiez in der großen Stadt.